Das Gesicht mit dem dichten Vollbart und den langen Haaren brachte mich in Rage. Das war doch der Kerl, den ich seit zig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Aber dem ich beim nächsten Zusammentreffen unbedingt meine Faust ins Gesicht ballern wollte - ohne Vorwarnung, ansatzlos, mit voller Wucht und aus tiefster Überzeugung, damit das Richtige zu tun.
Dabei scheint der Musiker, der eigentlich abgebildet ist, das Gegenteil von jenem Typ zu sein, den ich so gerne vermöbelt hätte, auch wenn er auf dem Foto genau so aussieht. Auf der Bühne wirkt er völlig unspektakulär, gibt sich zurückhaltend, fast scheu. Sam Beam (Foto) ist der Künstler hinter Iron & Wine, jener Folk-Rock Formation, um die es heute teilweise geht.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Jan Roemer aka FreakAlive, der das Frankfurter Konzert von Iron & Wine in beeindruckenden Fotos festgehalten hat. www.freakalive.de
Er sieht aus wie ein Fossil aus den sechziger oder siebziger Jahren, ist aber erst 34 Jahre alt. Sein Gesicht ist durch einen mächtigen Vollbart zugewachsen, seine Haare fallen ihm bis auf die Schulter. Aufgewachsen ist Sam Beam in der Nähe von Columbia in South Carolina, studierte Filmwissenschaften in Florida und lehrte schließlich an der Universität von Miami Film und Cinematographie. Zu Hause produzierte er in Eigenregie einige Songs, die irgendwie in die Hände eines Musikproduzenten gerieten. Der nahm ihn unter Vertrag und veröffentlichte aus dem Selbstgebrauten 2002 das Album „The Creek Drank the Cradle". Seither sind noch drei Alben und eine Menge Singles und EPs erschienen. Für einen Film recherchierte Sam Beam mal in einem Laden für Landwirtschaftsbedarf. Da gab es Viehfutter mit der Inhaltsangabe „Beef, Iron & Wine". Das Fleisch ließ er weg, der Rest ergab den Bandnamen, unter dem der Musiker in Zukunft auftrat.
Mein potentielles Opfer will ich mal Oli nennen. Sein bärtiges Gesicht sah damals genau so aus, wie das von Sam Beam heute. Er war in den siebziger Jahren schon ein Fossil der Studentenbewegung. Wir hatten auf einer gemeinsamen Liste für das Studentenparlament kandidiert und mit einem sensationellen Erfolg den AStA übernommen. Unser gemeinsamer Nenner war, dass wir zur undogmatischen Linken gehörten und uns jedwedes kommunistisches Kaderdenken fremd war. Und doch trennten uns Welten. Während Oli und seine Genossen sich dem andauernden Kampf um die revolutionäre Umgestaltung auch aller abgelegenen Ecken unserer Gesellschaft verschrieben hatten, wollten meine Freunde und ich uns eher der Veränderung des wissenschaftlichen Denkens widmen. So spaltete sich der AStA - die einen peitschten Demos, Boykotts, Sit-Ins, Kundgebungen im Zehnerpack durch die Universität, wir anderen versuchten alternative Arbeitskreise in unseren Studienfächern zu organisieren. Geredet haben wir nicht mehr miteinander.
Wenn Sam Beam singt, dann geschieht das ganz beiläufig. Er versucht kein großes Stimmvolumen aus seiner Kehle zu pressen, sondern ist eher ein Mann der leisen Töne. Er singt, flüstert fast, als würde er nachts damit seine Kinder ins Bett bringen. Beams Texte sind nicht leicht zu verstehen. Er benutzt eine stark Bild behaftete Sprache, verknüpft manchmal biblische Motive mit Alltagsgeschehen. In „naked as we came" macht sich seine Partnerin darüber Gedanken, dass sie wohl als Erste abtreten könnte. Oder in „prison on route 41" singt er darüber, warum er seine Verwandtschaft nicht dort im Knast besuchen und eben nur im Geiste bei ihnen sein kann.
Sein letztes Album „The Sheperd's Dog" hat er aber weitaus politischer angelegt. "Sicher ist es kein Album mit politischer Propaganda. Aber definitiv wurde ich durch die politische Konfusion in Amerika beeinflusst. Es hat mich wirklich zurückgeworfen, als Busch wiedergewählt wurde", sagte Beam einer amerikanischen Tageszeitung.
Selbstorganisation und freies wissenschaftliches Arbeiten - das war unser Motto. Ich wurde in den Vorstand einer studentischen Selbsthilfeeinrichtung gewählt, die das Bundesland, in dem wir studierten, auflösen und unter seine Fittiche nehmen wollte. In einem drei Jahre dauernden zähen Ringen gelang es uns schließlich, Teile dieser Selbsthilfeeinrichtung in studentischer Hand zu belassen. Mehr als zwei Jahre meiner Studienzeit hatte ich dafür geopfert, um die Institution zu erhalten.
Einige Zeit war vergangen, ich wohnte schon lange nicht mehr in jenem Studentenstädtchen. Freunde schickten mir Zeitungsausschnitte zu. Jener Oli war Jahre später in den Vorstand jener studentischen Einrichtung gewählt worden, die wir mit Mühen am Leben erhalten hatten. Privat hatte er sich in legalen und illegalen Spielkasinos herumgetrieben und nicht nur sein eigenes Geld, sondern auch etwa eine halbe Million Mark des Vermögens jener Sozialeinrichtung verzockt. Dem Strafprozess hatte er sich durch Flucht entzogen. Beim Lesen dieser Nachrichten schwor ich mir: „Wenn ich dem Kerl je mal begegne, wird er die Bekanntschaft meiner Faust machen."
Dem künstlerischen Schaffen von Sam Beam tat es gut, dass er irgendwann mit den Leuten von Calexico zusammentraf. Zusammen veröffentlichten sie 2005 die EP „In the reins". Sam Beam lieferte die Songs, Calexico brachte Jazzelemente und Bläsersätze ein. Die Musik von Calexico verschmolz mit Sam Beams leiser, einfühlsamen Stimme, so dass etwas völlig Neues entstand. Das Produkt scheint dem Mann so gefallen zu haben, dass er mit seinem letzten Album „The Sheperd's Dog" den Weg fortsetzte.
Foto: Paul Niehaus, Bandmitglied von Calexico, war bei der Tour mit dabei.
Nun - aus der Körperverletzung ist nichts geworden. Ich habe den Kerl nie wieder gesehen. Aber zu meiner Genugtuung bekam ich neue Zeitungsausschnitte zugeschickt. Danach war er nach Osteuropa geflüchtet und hatte davon gelebt, an Touristen Zimmer zu vermitteln. Den Faustschlag hatten andere für mich besorgt. Konkurrierende Taxifahrer hatten die unliebsame Konkurrenz aus dem Westen verprügelt und ihm dabei seine Vorderzähne ausgeschlagen. Nachdem die Unterschlagung verjährte, war Oli wieder im Studentenstädtchen aufgetaucht und hatte der Lokalpresse sein Martyrium erzählt. Milde hat mich das nicht gestimmt.
In Frankfurt ist Iron & Wine am 28.01.2008 aufgetreten, auf dem Foto zusammen mit Sarah Beam, seiner Schwester. Das Konzert fand auf Einladung des Künstlerhauses Mousonturm statt. Allerdings wurde der Auftritt in die Dreikönigskirche in Sachsenhausen verlegt. Mit dem Konzert in Frankfurt können wir leider nicht dienen, dafür aber mit dem einen Tag zuvor. Fabchannel hat den Auftritt von Iron & Wine einen Tag zuvor im Amsterdamer Paradiso aufgezeichnet.
Viel Spass mit dem Konzert!